Das EU-Parlament hat am 3. April einem Vorschlag der EU-Kommission zugestimmt, der Unternehmen mehr Zeit einräumt, um sich auf die geplante Nachhaltigkeitsberichterstattung im Rahmen der ESG-Vorgaben einzustellen. Dieses sogenannte „Omnibus-Paket“ sieht vor, dass die Einführung der neuen ESG-Berichtspflichten gestaffelt erfolgt und somit eine Entlastung für viele Unternehmen mit sich bringt. Während dies auf Unternehmensebene als pragmatischer Schritt gewertet werden kann, stellt sich die Frage, ob ein solcher Aufschub nicht auch in anderen Bereichen angebracht wäre – insbesondere in der Finanzberatung. Denn hier gelten bereits strengere Anforderungen im Hinblick auf Nachhaltigkeitspräferenzen der Kundinnen und Kunden, obwohl die entsprechenden Unternehmensdaten, auf die sich diese Beratung stützen sollte, zum Teil noch gar nicht in ausreichender Qualität vorliegen.
Wenn Unternehmen mehr Zeit erhalten, um ESG-Daten aufzubereiten, bedeutet das im Umkehrschluss, dass auch Finanzberaterinnen und -berater weiterhin mit lückenhaften, nicht standardisierten oder schlicht nicht verfügbaren Informationen arbeiten müssen. Dies erschwert eine fundierte und transparente Beratung in Bezug auf nachhaltige Anlageentscheidungen erheblich. Derzeit besteht jedoch die Pflicht, bereits im Beratungsgespräch die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden zu erfassen und geeignete Produkte anzubieten, die diesen Vorgaben entsprechen. Das führt in der Praxis nicht selten zu Problemen: Einerseits sind viele Finanzprodukte in Bezug auf ihre ESG-Qualität schwer vergleichbar, andererseits fehlt es an einer einheitlichen Datenbasis, um eine objektive Einordnung vorzunehmen. Es entsteht ein Ungleichgewicht zwischen dem, was von Finanzberatern verlangt wird, und dem, was die Unternehmen als Datenbasis überhaupt liefern können.
Angesichts dieser Diskrepanz erscheint es nur konsequent, auch in der Finanzberatung über eine temporäre Flexibilisierung der ESG-Vorgaben nachzudenken. Ziel muss es sein, die Beratungspflichten im Bereich Nachhaltigkeit an die tatsächliche Marktrealität anzupassen. Dies würde nicht bedeuten, die ESG-Ziele grundsätzlich infrage zu stellen oder zu verzögern, sondern lediglich eine praxisnahe und abgestufte Einführung zu ermöglichen, die sowohl die Belastbarkeit der Datenlage als auch die Umsetzungskapazitäten in der Praxis berücksichtigt. Es kann nicht sein, dass Berater sich einem hohen Haftungsrisiko aussetzen müssen, weil die regulatorischen Anforderungen nicht synchron mit der Verfügbarkeit relevanter Informationen verlaufen.
Letztlich geht es um Glaubwürdigkeit und Effizienz im Transformationsprozess hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft. Wenn der Gesetzgeber anerkennt, dass Unternehmen Zeit brauchen, um ESG-konforme Strukturen aufzubauen, dann sollte diese Erkenntnis auch in anderen regulierten Bereichen wie der Finanzberatung berücksichtigt werden. Nur so lässt sich vermeiden, dass gut gemeinte Regulierungen in der Umsetzung scheitern oder kontraproduktive Effekte nach sich ziehen. Ein kohärenter, realistischer Zeitplan für alle Beteiligten wäre ein wichtiger Schritt zu mehr Transparenz, Qualität und Akzeptanz in der nachhaltigen Transformation.